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Tupfen und Fetzen

Rügst du, daß ich Kleinheit
misch mit dem, was groß,
gegen Geist der Einheit
insofern verstoß’,
sag ich dieses bloß:

“Wenn es zwölf gerade
hoch am Turm geschlagen
und die Wachparade
unter Trommelklängen
kommt zur Schloßfassade,
seh ich Kinder spielen
froh im Überschwang,
Mägde im Gedränge
ihre Körbe tragen,
höre Hörnerklang,
Prozession seh triste,
wo vor einer Kiste
flink ein Knabe sprang.
Jünglinge seh winken
und zu Mädchen blinken
und zur Wache schielen
an der Fahnenstang’,
König, just besungen,
Prinz und Betteljungen,
Männer, welche trinken
in ’nem Stiegengang
und auf Mälarwogen
einen Irisbogen
hoch als bunte Spang.

Könnten Augen schauen
dieses Bild in Gänze
und die Ohren hören
dessen wilde Tänze,
jede Melodie,
würden beide bauen
aus Musik und Chören
eine Symphonie,

und die Augen sähen
und die Ohren hörten
dann die höchsten Höhen,
zugleich tiefste Tiefen
und die Töne riefen,
Herz und Sinn beschwörten,
rührten und betörten
durch die Harmonie.

Aber alles Schöne,
Formen, Farben, Töne,
was verstreut erscheint
–  daß sein Werk er kröne,
Gott allein vereint!

Will mein Auge sehen
Formen und Gepränge
eines Augenblickes
einer Mälarflur,
kann es sich ergetzen
doch an Tupfen nur,

will mein Ohr verstehen,
hört es von dem allen
Fetzen, Einzelklänge
aus der Partitur,
wie von Bergen hallen
Echo eines Stückes:
gleichsam Tupfen, Fetzen  –
Abglanz der Natur.”



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999