Streifzug durch das Heimatdorf
1.
Auf dem See ist ein Glitzern, am Himmel ein Glühn,
und der Strand und die Bucht schimmern lind,
und der herrliche Wald dahinter steht grün
hinter Wiesen, die wogen im Wind.
Und so sommerlich schön mein Heimatdorf steht,
das der spielende Waldwind umweht.
Sei gegrüßt! - Aber wo ist mein Vaterhaus?
Nein, da ist nur die Ahornallee.
Da ist’s leer und verlassen, verheert und verbrannt,
wo das Haus war, ist’s felsig und kahl,
doch Erinnerung weht wie der Wind über Land,
die Erinnerung schimmert noch fahl.
Und mir ist, als ob man den Giebel noch sieht,
und ein Fenster geöffnet ist dort,
ein Klavier intoniert noch ein keckes Lied,
und es tönt noch ein muntrer Akkord.
Und ich höre den Vater, wie er sang mit Lust,
als er einstmals war jung und beglückt,
eh der Sang verstummte in todkranker Brust
und sein Leben war schwer und bedrückt.
Hier ist Öde und Leere, ich liege am See,
um den Vater zu hör’n noch einmal,
um zu hören vergangenes Wohl und Weh,
wie’s gewesen im Alsterdal.
Seine traurige raunende Antwort ich hör,
und sie klingt wie ein leises Gebet:
“Es ist tot, es ist fort, zwanzig Jahre her,
vergessen, vom Winde verweht.
Wo sich liebe Gestalten einst fröhlich gesellt,
ist es leer, ist es öde und kahl,
doch mein Wiegenlied immer und ewig erzählt,
wie es war hier im Alsterdal.”
2.
Und hier ist der Hain, wo der Kuckuck schreit,
und hier sprangen die Mädchen gern,
barfüßig und im geflickten Kleid,
und pflückten sich wilde Beer’n,
und hier lag Schatten, und hier gleißte Licht,
und hier standen Kuckucksblumen dicht,
das Wäldchen ist mir lieb,
wo meine Kindheit blieb.
3.
Hier ist eng der Pfad und dicht der Wildwald,
und die Märchen walten stark und wild,
und hier wirft der Berggeist einen Felsstein
auf den Mönch im heidnischen Gefild.
Hier war Ulv, der Wolf vor seiner Höhle,
beim Geheul den Kopf warf ins Genick,
hier saß Ulva, seine kleine Tochter,
zottelbrüstig und mit Zauberblick.
Hier beginnt der Weg zum Land des Glückes,
er geht lang und eng durch Strauchgezweig,
und kein schlauer Kater, weißgestiefelt,
kann uns zeigen hier den rechten Steig.
4.
König Maiglöckchen herrscht im Haine,
König Maiglöckchen weiß wie Schnee,
beweint die Prinzessin feine,
um Maiglöckchenmaid hat Weh.
König Maiglöckchen traurig senkt nieder
sein Haupt – die Trauer ihn zerbrach.
Im Silberhelm glänzt wider
die Sommerdämmerung schwach.
Um Sarg und Spinnenweben
verströmt das Rauchgefäß seinen Duft,
die Weihrauchschwaden schweben
und füllen Waldes Luft.
Zur Birke, die trauernd sich neiget,
im windgewiegten grünen Haus,
die Trauerweise steiget
und fliegt ins Weite hinaus.
Die Botschaft fliegt durchs Gefilde,
trägt Königstrauer von Blatt zu Blatt
im grünen Laubgebilde,
in ganz Maiglöckchenstadt.
Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999