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Ein Morgentraum


1.

Ich träumte, ich weilte
in Ariens Land,
und Helios verteilte
mit milder Hand
sein Licht überall über grüne Erd,
gab ihr, die Vulkan einst zersprengt und verheert,  *)
sein Leben, das Garben beschert.

Ich träumte von Apfelbäumen zuhauf
im Hag an dem glitzernden Wasserlauf,
von Kirschenhainen und Beerengesträuch
im Tälchen am Fluß und am Hang beim Teich,
vom Korn, das vom Winde gesät, sich neiget
im einsamen Tal, wo alles schweiget,
vom Hopfen, der klettert und klammert sich fest
im stillen Wald in Gestrüpp und Geäst.

Und Wiesen sich breiten
am Wasserfall,
und Hirten geleiten
das Vieh vom Stall
zur Alpe, wenn taufeucht kommt die Nacht,
wenn wartend am Schober stehn Frau und Magd,
die Butter in Bütten gemacht.

Die Männer sind stark, die Frauen zart,
die Kinder, behende, beim Spiel geschart,
die Menschen sind nackt, zu stolz fürs Joch,
für Hurenkleider zu hehr und hoch,
und schimmert hervor in den Mädchenscharen
ein buntes Tuch an Hüften und Haaren,
so macht es sie nur besonders fein
und hübsch und hold für den Liebsten allein.

In Schleifen und Schlingen
verläuft der Bach,
und Schwaden dringen
vom Schlot am Dach,
darunter werken und wirken mit Fleiß
und sitzen mit spielenden Kindern im Kreis
die Alten, schon silberweiß.

Und über der Klippe ragt mächtig hinaus
hoch über den Wolken des Königes Haus,
dort oben auf felsigen Höhen im Ring
zur Mittsommerzeit ist Volkes Thing,
der König richtet und schlichtet weise
und spricht mit der Sonne im Himmelskreise,
die Sonne spendet ihr Gotteswort
und sendet Antwort zum heiligen Ort.


2.

Dort streift im Walde ein junger Mann,
der mutig und frei geht himmelan,
sein Blut braust wild wie im Sturm die Gezeiten
bereit zum Streiten,
und alles versucht er und alles kann,
der sicherste Denker und Lenker,
beherrscht die Faust und die Lanze
und küßt, wenn Rast ist im Tanze,
die schönste und strahlendste Maid
vor Blicken der Freier voll Neid.

Ich sah ihn im Traum, er ging seine Bahn,
er schritt ohne Hast und Zögern voran
und fürchtete keine Gefahr,
ein Lächeln spielte um Lippe und Mund,
als täte es kund:
Ein Liebling der Götter,
ihr Freund und ihr Vetter er war.

Er streift durch den Wald und grünes Gezweig
auf rauhem, dornigem Steig,
er lächelt zum Käfer, der krabbelt und kriecht
und sanft in die Zehe ihn sticht,
er neckt den Kuckuck, er scherzt mit dem Reiher,
er folgt einer Fährte vergnügt,
er ruht auf dem Felsen und rastet am Weiher
und schaut zu den Fischen entzückt,
er kniet sich nieder an Uferstränden
und trinkt ihren Quell aus den Händen.

Ich sah ihn im Traum, seinen Blick so klar,
ergötzt am Bild, das im Wasser war,
es zeigte den Liebling der Götter,
so männlich und wunderbar.


3.

Feine Füße, zart und schön,
tasten vorwärts auf den Zehn,
mal sich eilen, mal verharren
bange, ob nicht Äste knarren,
ob nicht jemand hörte gehn
feine Füße, zart und schön.

Sieh, nun lächeln scheu und lauern
frohe Augen um den Stamm,
eines Mädchens Schultern kauern
sich gleichsam wie Lamm an Lamm,
und sie pirscht sich aufmerksam
vorwärts über Moos und Schwamm.


4.

Und geschwind wie der Wind
faßt das Mädchen den wackeren Jägersmann lind,
macht ihn blind, hält die Augen ihm zu.
Und sie lacht zum Gefangnen, haha! und hihi!
und sie denkt sich: Frei kommst du nie,
wenn du auch zappelst, zapple nur du!

“Selbstverliebter! Habe ich
dich!
Rate, wer durchs Dickicht sich
schlich!?”

Und sie stupst ihn und zerrt,
und sie knufft ihn und kneift ihn und Antwort begehrt,
und sie neckt ihn und schreckt ihn kokett,
und sie peinigt ihn zärtlich und preßt an die Brust,
doch die Plage ist Lust
wie ein Kosen im Liebesbett.

Tappend kämpft er, kommt nicht los,
tapst und rätselt: “Dornenros?
ist dein Name Stich und Störe?
Pein und Plage?  -  laß mich, Göre!”

Und zuletzt, doch befreit,
sprang er auf und umfing sie im Liebesstreit,
und sie fügte sich matt,
und er koste sie, küßte sie nimmersatt,
und sie preßte sich dicht,
und sie schluchzte und barg ihre Tränen nicht,
und sie trank seinen Blick
und sein Innerstes sah in dem Augenblick.

Wie im Frühling die Knospe von Ariens Ros
schält ihre schützenden Blätter vom Blütenkelch los,
für die Bienen sich öffnend geschwind,
lag sie nackt unter Sonne und Wind,
weit gespreizt, und sie spürte im Schoße ein Beben,
sich des Liebsten Begier zu ergeben.


5.

Seel in Flammen, Blut im Tanz,
beide wurden eins und ganz
durch die Liebesglut gemacht,
immer, immer wieder,
seine junge Mannesmacht
drang in sie hernieder.

Und vom Munde des Küssenden Küsse sie sog
und den Schoß zu ihm hob und sich bog,
und sie trank seine Liebe, wie wallte ihr Blut
von der stürzenden Flut
seiner Leidenschaft,
von den Funken der Glut
seiner Kraft.

Und in einem Atemzug,
einem Puls und Herzensflug
Seel in Seele, Leib in Leib
klang und schwieg,
fiel und stieg  -
eins war Mann und Weib.
Rhythmisch klang ihr Ton,
bis ein Strahl des Lebens schoß
und als heißer Schwall sich goß
Vaterkraft zu Muttersproß  -
wie die Ströme eines Kraters,
Strom der Mutter, Strom des Vaters,
neu vereint im Sohn.


6.

Wie zwei Keime, in der Schote liegend,
kurz bevor die Schote sie entläßt
und noch einen Augenblick hält fest,
liegen beide, dicht bei dicht sich schmiegend,
wie Geschwister liegen sie und er
und noch immer keuchen und noch glühen
nach der Liebe ersten raschen Mühen,
eng umschlungen, noch von Wonne schwer.

Doch im Lichte, das die ewig klare Flamme
spendet allen Erd- und Himmelsreichen,
war Glückseligkeit herabgetaut,
von dem Gott, der segnend niederschaut,
wie ein Strahl, der glimmt am Bergeskamme.
Denn die Götter schenkten ihresgleichen:
Menschensohn und seine Braut.



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999