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Dolores di Colibrados

Ich kannte sie nicht, als noch Kraft in ihr wallte,
als jung wie die Macht der Kalifen sie strahlte
und Frühling im dunklen Augenpaar war,
erst, als der Herbst auf sie niedergegangen,
als winterlich weiß schon die Sträucher behangen
und weiß gesträhnt war Dolores’ Haar.

Ich sah ihre Augen, in Andacht versunken,
die letzten verbitterten liebenden Funken,
das Feuer, das einstmals lodernd und heiß,
die Hoheit, die glänzte  -  wie das Besinnen
auf Sonne an Vaters Schloß mit den Zinnen  -
auf ihrer Stirne, runzlig und greis.

Was war an lockender Süße zu spüren,
die über die Meere sie konnte entführen
und riß mit Wurzeln vom Heimatland fort,
dem Herzallerliebsten zu folgen alleine,
ich weiß nur den Namen am moosigen Steine,
ich weiß nur, sie war eine Fremde im Ort.

Sie war eine Fremde, als Fremde betrachtet,
und ging unter Fremden, vergessen, verachtet,
bedrängt von der kalten nordischen Nacht,
kaum daß sie sich zwang unter nördliche Sitte,
da kochte ihr Zorn in unserer Mitte,
ihr Ahnenstolz hatte sie bitter gemacht.

Und sie, die doch hatte die glücklichsten Gaben
und achtete nicht, Gold und Schätze zu haben,
bis nichts ihr blieb für des Alters Zeit,
sie mußte in schändlicher Armut verfallen,
und wo man sie sah, war ein Wispern bei allen:
“Sieh adelig Blut im lumpigen Kleid!”

Die Edlen begaffen ist Pöbels Vergnügen,
wenn Vornehmheit leidet, besudelt mit Lügen,
verschmäht und verhöhnt auf Schritt und Tritt,
sie stachen sie ständig mit Nadelstichen,
daß Flammen schossen aus maurischen Blicken,
sie lachten roh, als Dolores litt.

Die Nachbarn sagten: “Dolores ist närrisch,
so anders als wir, halsstarrig und störrisch,
und in ihrer Seele ist finstere Nacht.”
Und so geschah es nach Tagen und Wochen,
die Seele ward düster, der Geist gebrochen  -
zum Irrenhaus wurde Dolores gebracht.

Doch konnte sie wieder zur Klarheit erwachen,
ich sah, wie die schwärmenden Augen brachen,
ich sah ihr Lächeln, schmerzlich und fahl,
sie nahm meine Hand und sagte: “Que flama!
Se pierda Granada, ay de mi Alhama!”
So flüsterte sie ein letztes Mal.

Ich sah ihre Züge, verheert von Plagen,
und dachte: “Die herrliche Burg ist geschlagen,
verödet der Weinstock auf sanften Höhn,
Granada geschleift, Alhama verheeret,
verlassen, verbrannt, vom Tode verzehret
und doch als Ruine noch stolz und schön.”

In Cordoba nicht die Moscheekathedrale,
nur der Wald hier im Norden, die Kirche im Tale
bezeugten Dolores’ Begräbnisakt,
sechs Männer, die keinen Weiherauch schwenkten,
als vorwärts zum Kirchenhügel sie drängten
mit kargem Sarge im groben Takt.

Und nicht Andalusiens flammende Helle,
nicht Myrte, Zypresse und lichtblaue Welle
weiß, wo Dolores fand ihre Ruh,
die Sonne glimmt, sich im Nebel verlierend,
die schiefe Birke am Hügel steht frierend,
und schwerer Schnee ihr Grab deckt zu.



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999