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Der Ball.
Ein Heldengedicht.

1.

Es war einmal, ein Jüngling war ich noch,
da jede Müh mir schien ein schweres Joch,
und auf den Wogen der Bohème trieb ich,
Childe-Harold-Dichtung schrieb ich und zerrieb mich,
manchmal im Freundeskreis im Punsch ertrank ich,
manchmal in dumpfer Lethargie versank ich,
erträumte Gold und Lorbeer unermeßlich,
bis ich war gelb und mager, krank und häßlich.

Es war einmal, es war beim Oskarsball
im Winter in der Stadt im Festlokal,
ich stand im Fracke zwischen lauter Fracken,
er war geliehn, zu lang, zu hoch im Nacken,
mein Hemd war steif und bräunlich von der Plätte,
weiß kontrastierend meine Halsrosette,
ein Knopf war ab, der eine Absatz schief,
die Seele war erstickt in Muff und Mief.

Und ringsherum gedrängt des Städtchens Crème
in ihrer Pracht provinziell vornehm,
mit Tressengold bestückte Staatsgewalt
rings um des Landrats stattliche Gestalt,
die Vasaritter aus den Salzkontoren
rings um den werten Branntweinmatadoren.
In einem Eck stand Major Gyldenstorm
mit Hauptmann Adelfeldt in Uniform,
und hier und da ein Leutnant aus dem Stab
ging Schnurrbart zwirbelnd wandernd auf und ab.
Und hier und da ein Rudel Zivilisten,
die steif zum Gruße ihre Hüte hißten,
und Tante neben Tante an der Wand,
in Gredelin mit buntem Seidenband,
und tüllumrauscht und knisternd farbenfroh
die holden Edelfräulein comme il faut
mit Wedeln kühlend sich ihr junges Blut,
ganz edelfräuleinhaft und hochgemut.

Ich fand als welterfahrner Pessimist
das Ganze ziemlich häßlich, hohl und trist
und fühlte meinen schiefen Schuh aus Lack
und den geliehenen verdammten Frack
und dachte: “Dummer Ball  –  was soll ich dort?”
–  doch hör, der Landrat schenkte uns sein Wort!
Man trank Champagner, und ein Frohgesang
aus schwedisch frohen Kehlen nun erklang.

2.

Es spukt in Flur und Treppenhaus,
in Saal und Halle ein und aus,
es rascheln in den Seiden
die guten alten Zeiten.
Frau Uggla segelt ein,
von alter Art im Stile,
im Air und im Profile,
und siebzig Jahre haben
wie Runen sich gegraben
in einen Runenstein.
Stolz trägt sie die Mantille doch
und stramm lenkt die Familie noch,
und trotzet Wind und Wetter
wie einst am Lech die Väter
in Gustaf Adolfs Reih’n.
Nun rasseln die Braceletten schrill
und wippen die Rosetten still
bei Trillerspiel und Fahnen   –
mit Putz und Prunk und Ahnen
Frau Uggla segelt ein.

3.

Wie eine Lustjacht, die im Morgenwinde
ums Flaggschiff einen leichten Bogen schlägt,
als ihre Fahne und als Angebinde
an Mast und Tuch und Ruder Myrten trägt,
mit Freudenwimpeln vor dem Hochzeits-Törn
kam Enkeltochter Fräulein Elsa Örn.

Ein Röslein schwamm auf ihrer holden Blässe,
das blonde Haar wie schwedisch goldner Lein,
die Haltung einer wirklichen Prinzesse,
so adelig und schlank und hoch und fein,
grazil ihr Gang, als wär sie vom Ballett,
und wie ein Bürger-Gör dazu kokett.

Und ihre hellen Augen schalkhaft sprühten,
die Lippen waren keß geschürzt und frisch
wie junge noch nicht aufgeblühte Blüten,
der Zug um ihre Nase kämpferisch,
doch nicht Großmutters Schmiss und scharfer Schliff   –
sie war ’ne Lustjacht, kein Marineschiff.

Wie eine Jacht, die in der Morgenhelle
dem Meer auf froher Woge macht Besuch,
und der Schaluppe folgt in deren Welle
und setzt im Frühlingswinde Tuch um Tuch
und Freudenwimpel vor dem großen Törn,
kam Enkeltochter Fräulein Elsa Örn.

4.

Mit einem Mal schien nichts mehr schal und kalt
und alles schien in schönerer Gestalt,
klang die Musik mehr musikalisch rein,
und heller, klarer war des Gases Schein,
die Menschen waren mir nicht länger graus,
und auch der Landrat sah passabel aus,
und auch die Vasaritter gingen an,
der Branntweinbrenner war ein Ehrenmann,
und Major Gyldenstorm, sonst steif wie Holz,
der Branntweintrichter, Vaterlandes Stolz,
war Veteran der bittren Lebensposse,
die Edelfräulein waren Frauenzimmer
mit märchenhaftem zauberischem Schimmer,
und Fräulein Elsa Königin im Schlosse
–  denn sie war es, die täglich ich gesehn
am Weg beim täglichen Spazierengehn,
und wo ich immer ging, sah ich nur sie,
versunken in des Traumes Phantasie,
und sie war es, von der ich Lieder schrieb
und die mir lieb in meinen Träumen blieb,
wo ihren mädchenklugen Trost ich fand
und ihre Munterkeit und sanfte Hand.

5.

Gerede schnatterte
klug und dumm,
der Walzer flatterte
rings herum
in weiten Ringen
von schwarzen Fracken
und Falterschwingen,
hoch gerafft,
und nackten Nacken
und Tüll und Taft.

Es war eine kühlende
Frühlingsflut
so wie die spülende
Woge tut,
und hingezogen
und fortgerissen
von Tanzes Wogen
–  wie andre Gör’n   –
ins Sofakissen
sank Elsa Örn.

Eine frohe prustende
Maid im Bad,
gerötete, pustende
Meernajad,
in Tüll und Spitze
und schaumumwoben,
von Walzers Hitze
in Wohlbehag
zum Strand gehoben
vom Wogenschlag.

6.

Und frei von der Schüchternheit zeigte ich mich,
eine Polka erbittend verneigte ich mich,
Fräulein Elsa bejahte mit Knicks,
und sie lächelte hold, und wie mühte sie sich
und wie zwang mit barmherziger Güte sie sich
zum Geschenk eines gnädigen Blicks!

Und mit Mut zwischen Polkende zwängte ich mich,
und stolz in den Tanzwirbeln schwenkte ich mich,
wie ein Kriegsschiff, das geht zur Attack,
und so taumelten wir und so stolperten wir,
wie verhaspelte Haspeln so holperten wir,
und es flog mein geliehener Frack.

Fräulein Elsa vermochte zu zwingen sich doch
und versuchte im Tanze zu schwingen sich noch,
wenn im Takte ich emsig sie schwang,
und so nett wie Titania gaukelte sie,
und schaukelnd in Tanzschwüngen strauchelte sie
und bleich nach Atemluft rang.

Ihre Unruh und Bangigkeit steckten mich an,
und zuallerletzt schaute erschreckt sie mich an,
außer sich, außer Takt, ohne Halt,
gegen Tische und Stuhlbeine strandeten wir,
schiffbrüchig im Sofaeck landeten wir
–  Fräulein Elsa doch lachte nur kalt.

7.

Und ich verstand, daß alles war vorbei,
und dumpf war alles, stumpf und einerlei,
ich hatte all mein Glück getanzt in Stücke
und trank der Trauer wermutbittre Schlücke,
wohin ich sah, war alles Leben öd,
und ich war tölpelhaft und plump und blöd
und fühlte mich gefesselt nun aufs neue,
ich schneuzte mich, ich fühlte Schmerz und Reue,
ich blickte auf den Boden, schluckte hart
und spielte dumm mit meinem jungen Bart.

Und Fräulein Elsa Örn, die dieses sah
und nicht verstand, was da in mir geschah,
die Trauer, meiner Seele stumme Not,
biß auf die Lippe, wurde etwas rot
und war verwirrt und wurde ernst zum Schluß
und sah verlegen dann auf ihren feinen Fuß.

Da stürmte ein Verlangen auf mich ein:
Ich wollte tragisch wie Prinz Hamlet sein
und wie der wild Besessene zerstör’n
und sagen: “Geht ins Kloster, Fräulein Örn!”
So ähnlich sagte ich  –  auf jeden Fall
war solche Rede neu auf einem Ball.

8.

Ich sprach: “Mein Fräulein, Lug sind alle Lüste,
Sie wissen wohl, die Jugend ist längst tot
und Liebe Öde und das Leben Wüste,
und kurz nur laben uns die Mutterbrüste;
die Illusion verfliegt  –  wie Wolken an der Küste,
wie Rauch vom Lagerfeuer rot.

Das Ziel der Reise ist nur, daß man fahre,
und hinter aller Schönheit ist es öd,
die öde endlos geckende Sahare,
wir irrn zu Grabe auf der Totenbahre
–  das Fräulein sagte bange: “Gott bewahre!”
und faltete die Hände im Gebet.

Ich sah zu Boden düster und malade.
“Ihr dämpft die Sorgen nur, indem Ihr lacht,
Ihr habt des Frohsinns wunderbare Gnade,
in Henkers Schatten wie Scheherezade,
die Tag für Tag war auf dem Todespfade,
verlängert durch die Dichtkunst Nacht für Nacht.

Doch das Gesetz der Welt folgt keiner Sage,
den Sultan mildert keines Mädchens Hand,
und keine Dichtung hemmt sein Beil am Schlage,
das Schwache schlägt wie Starke alle Tage,
es ist Samúm; nicht Lachen hilft noch Klage
im Wüstensturm, im Wirbelmeer von Sand.

Ihr findet Euch umarmt bei Kerzenstrahlen
–  ein Toter ist’s, den Ihr an Euch gedrückt!
Wir suchen den Genuß und finden Qualen,
wir wollen Kerne, doch wir essen Schalen,
erstreben Liebe, leben in Kabalen.”
Und ängstlich hauchte sie: “Seid Ihr verrückt?”

Ich sprach: “Ja, wo Vernunft und Klugheit prassen
wie Lebergeier, da ist Wahnsinn recht,
wenn letzte Strahlen Lebenslust verblassen,
erlöst Verrücktheit den, den Gott verlassen.”
–  Da sprach das Fräulein: “Solcher Quatsch mag passen
verdrehten Knaben, klugen Mädchen schlecht.”

9.

Und Fräulein Elsa ging im Siegeskranz
auf Siegesfahrt im schnellen Wellentanz,
die hübsche Jacht, wie anmutig sie schwamm,
wie edel sich erhob ihr feiner Stamm,
wie stolz sie segelte von Arm zu Arm,
umflattert wie von einem Möwenschwarm,
umtost von Gischt und weißem Brandungsschaum.
Ich hörte nichts, ich war versenkt im Traum,
ich wollte trauern, fühlen meinen Schmerz,
ich konnt’ es nicht, zu jung war wohl mein Herz,
und widerstrebend fand: Es ist fatal,
die Welt so trüb zu sehen, fahl und schal.
Ich sah ein Bild, auf dem ich selber war
mit Elsa, und die Nacht war sternenklar,
wir saßen still am See auf einer Bank  –
das Wasser schlug, und Dünung stieg und sank,
wir fühlten auf der Haut des Mondes Tau,
ein wundersamer Schein lag auf der Au,
ich baute Schlösser aus der kühlen Luft,
aus Mondschein, Unvernunft und Blütenduft.

10.

Glaub nicht, das Leben ist im Tod verloren,
nein, immer neu wird Leben uns geboren,
von dessen Ende nicht weiß unsre Zeit,
das wir durchleben in Glückseligkeit.

Im siebten Himmel ist im höchsten Saal
bei Harfenklang und Sang ein ewger Ball,
und die Musik erschallt im Widerhall
der Himmelshalle aus Kristall.

*

Sternkronen flimmern, und farbig sich bricht
ihr Feuer in Prismen und Kuben,
holde Erzengeltöchter,
strahlend und lieblich von Angesicht,
tanzen mit jungen Cheruben;
Schleier wie Sonnengeflimmer,
Lichtdiademe wie Sternenschimmer
schweben und schwingen im Himmelslicht,
Haarlocken wehen wie Schauer im Winde,
hurtig vom Winde erfaßt;
Schläfer lächelnd erwachen,
Morgenröte gelinde
glimmt auf den Stirnen, verblaßt,
Augen erstrahlen und Klarheit gewahren;
zwischen den tanzenden seligen Scharen
schweben die liebenden Paare im Tanz,
bahnen sich Weg durch die Halle und finden
stille Gemächer und Lichter entzünden
Sterne von dunklerem Glanz.

*

Glückseligkeit schäumt voll in den Pokalen,
gebraut aus Glückes Duft und Hoffnungsstrahlen,
versonnen nippt man dann und wann am Trank
und streckt sich wohlig auf der Wolkenbank,
Gott Vater sitzt auf seinem hohen Thron
und schenkt den Menschen seines Himmels Lohn,
er hält sie liebevoll in seiner Hut,
und sieht erfreut: Was er gemacht, ist gut.

Wir treten scheu in Gottes Thronsaal ein,
ringsum sind Tanzende, unzählige
–  wir stehn vor Majestät im Himmelsschein.
“Wir beide hoffen als Mühselige,
zu den Glückseligen bald zu gehörn
–  sieh, da bin ich, und da ist Elsa Örn.”
Gottvater schmunzelt und er lächelt mild,
großväterlich und freundlich ist sein Bild.
“Es freut mich sehr, ein solches Paar zu sehn.
Nehmt, was das Haus hat für das Wohlergehn,
und walzt und wirbelt mit den andren Schönen,
die Walzer tanzen, daß die Himmel dröhnen!”

Wir tanzen aus dem Saal  –  wir tanzen lang
und werden matt von unsrem Überschwang,
es findet sich für uns an Vaters Hof
wohl ein Alkoven nach dem Tanz und Schwof,
wir huschen hin, und eine warme Flut
wie junges Leben, frisch verliebtes Blut
strömt in uns ein, beseelt die Himmelsräume
–  wir schlummern ein, wir träumen holde Träume.



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999