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Unser Probst

Unser Probst,
pausbackig wie Obst
und gelehrt wie der Teufel persönlich,
ist aus Bauerngeblüt,
von frohem Gemüt
und einfach und gut für gewöhnlich.
Er lebt wie wir,
trinkt Schnaps im Kaffee und liebt sein Bier
wie wir,
und nie den Becher verdammte,
liebt den Schmaus
wie wir,
ruht sich aus
wie wir
–  doch Sonntag ist er im Amte.

Sobald er steht da vorne im Chor,
so kommen wir andern uns winzig vor;
der Probst gleichsam wächst im Ornate,
dann ist er Probst von Kopf bis Fuß,
ein Probst, der donnert und ruft zur Buß’,
der Pastor im Pastorate!
Ich seh ihn mein Lebtag vor mir so klar,
wie würdig er war
im Priesterrock und mit Kragen;
er mahlte uns klein
und erweichte den Stein,
wenn er tadelte sündig Betragen,
sprach mit Gewicht
vom Jüngsten Gericht,
von Zähren, Jammern und Klagen.

Und alle weinten wir Weh und Ach,
da im Fleische es stach,
und die Seelen waren beklommen.
Der Kirchenrat schlich hinaus ganz krumm,
als der Gottesdienst um,
reuig und stumm,
um gleich zur Sitzung zu kommen.
Doch drüben beim Probst,
da fanden sie Trost
als sie nahmen Platz auf den Bänken,
und der Probst sprach fröhlich: “Willkommen
bei kaltem Buffet und Getränken!”



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999