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Träume im Hades

1.

Schwer vom Schlaf im müden Gehirne,
lag ich doch wach mit weiten Gedanken,
sah, wie die Flamme atmete kaum,
sah sie tief im Wachskörper schwanken
zuckend, sich duckend, sah ein Gestirne
rötlich glimmen im nachtschwarzen Raum.

Kühl stand der Mond, dessen silberner Schimmer
schien wie ein Leuchtfeuer hell in der Ferne
über dem Mast, wenn die Nacht anbricht,
ging wie des Wanderers schwanke Laterne
war wie am Grabe mit fahlem Glimmer
in einer Spätsommernacht ein Licht.

Schwer war die Luft, wie aus Erde gewoben,
Stoff, den wandernde Geister beseelen,
Hauch, von dunkler Ahnung erfüllt,
Schatten und Schimmer, vereint und zerstoben,
Grabhügellichter, von denen erzählen
alte Sagen von Zauberkult.

Dunkle Gestalten ich sah in der Weite,
ruhende Reihen entschlafner Geschlechter
ruhig erwarten im festen Vertraun
Morgen und Sonne nach düsteren Nächten,
schlummernd liegen Seite an Seite
Jahr um Jahr in dem langen Traum.

Dumpf, wie die Wogen wallen und schwallen,
hörte ich Stimmen von den Verwesten
dunkel wie Harfen im Menuett,
hörte sie schwappen von Osten nach Westen,
fragen, antworten, steigen und fallen,
wandern wie Wellen zu meinem Bett.

2.

Kaum vernehmbar klangen
Rhythmen schön im Takt,
ich vernahm Gedanken,
Worte, ungesagt,
die die Seele ahnet
und kann tief verstehn,
was im kleinsten Worte
seufzend muß vergehn.

Als mein kluges Denken
prüfend, kühl und dürr
formte sich zu Klängen,
wurde es Geklirr;
Wehe wurde jede
edle Traumgestalt,
Schönheit wurde öde,
Freude wurde kalt.
Und der Hades, linde
in der Nacht geträumt,
wurde schwarze Tinte
und in Vers gezäumt.

3.

Brausen von Albions Harfe,
Sang von den Inseln im Norden,
Beowulfs Zeiten und Fingals
hörte und sah und vernahm ich
schwingen und klingen im Hades,
wundersam schön geworden.

Fabeln der anglischen Kön’ge,
dunkle Sagen der Gælen
über Merlin und Gral,
hexende Sprüche der Danen
hörte mein lauschendes Ohr
heimlich und leise erzählen.

Gnostische Künste von Osten,
die die Magier verrichten,
seltsame Völvagesänge,
Weisheit uralter Druiden,
suchend der Weisen Stein,
füllten die Nacht mit Gesichten.

4.

Ich sah eines Schlafenden
Rosenwangen,
das schwarze Barthaar
lag jung und weich,
die Silberkante
am Rand des Hemdes
umgab ein Antlitz
stolz und bleich.

Ich sah des Sängers
Wehmutsstirne,
die dunklen Haare
in edlem Fall,
die männlich schwärmenden
traurigen Lippen,
die einstmals sangen
in Arthurs Hall.

Ich sah todesdüstere
Augen blicken
und suchen jemand
und finden nicht
und matt sich schließen  –
und wie es erschienen,
war wieder zerronnen
in Luft das Gesicht.

Doch lange hörte ich
seine Gedanken,
die lautlos sangen
in dunkler Qual,
eine halb vergessene
Sängersage
aus einem wälischen
oder anglischen Tal.

“Gab ich ihr nicht meine Liebe,
die liebend sich mir gab hin,
schlief ich und träumte und lag ich
denn nicht an der Liebsten Knien,
als niedersinkend die Sonne
rot hinter Wolken schien.

Gab sie mir nicht eine Brautnacht
wohl unter Sternenschein,
als hohe Laubeskronen
wogend uns wiegten ein,
als Wind war in Weiden, und Wellen
schlugen an Schilf und Stein.

Alles gab sie  –  des Gatten
güldenes Königsgeschmeid,
wand es in meine Locken
mild und voll Zärtlichkeit,
gab ihre Seele mir eigen,
brach ihren heiligen Eid.

Lange wir tranken die Tränen,
Tränen aus seliger Brust,
tranken mit Schwermutlächeln
Liebe, der Stunde bewußt,
Liebe in Glück und Sünde,
Liebe in frevliger Lust.

Hörte ich von dem Mönche
sagen der Liebe Gebot:
’Leben ist schön und vergänglich,
Wangen der Liebe sind rot,
deine Geliebte bezeugte,
deine Osviva ist tot,

deine Osviva wird schlafen
lange in Schlummers Tal,
Schlaf in Traume und Tode
war ihre eigene Wahl,
niemals bereute sie, niemals
geht sie zum himmlischen Saal.’

Mönch, es geht eine Sage,
Völva gesungen hat,
daß, wenn im letzten Herbste
fällt einst das letzte Blatt,
wird ein Befreier kommen,
freien die Totenstatt.

Haben wohl Zeiten gebrauset
und meine Seele gesehn?
Dann ist der Tag gekommen,
muß ich im Kampfe bestehn,
wird der Geist des Befreiers
über die Reiche wehn.”

Wie vom Meer im Schwalle,
wenn Winde kommen,
wenn Wogen wandern,
ein Sausen kam,
ein Tagesahnen
im Hadesdunkel,
verborgen, heimlich
und wundersam.

Und wieder sank er
zurück ins Dunkel,
wo im Traume
der Schemen schwamm,
und wieder kam er
aus dem Dunkel,
und Bilder sah ich
und Worte vernahm.

Und über Gesichter
fiel bisweilen
ein Schimmer noch klareres
Licht als zuvor
und dennoch vage
wie Mondesstrahlen
in Lebensnacht
durch Todes Tor.



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999